Ich hoffe Bild (Copyright Axel Springer) hat nichts dagegen wenn wir Ihren Titel weiter verbreiten und veröffentlichen. Wir sind Bild (Julian Reichelt) sehr dankbar für seine Worte.
Den Artikel können Sie auch auf Bild.de lesen. BILD bittet alle Kinder um Verzeihung!
von Julian Reichelt (CHEFREDAKTEUR BILD)
Millionen Kindern in diesem Land, für die wir als Gesellschaft alle miteinander verantwortlich sind, möchte ich sagen, was unsere Bundesregierung und unsere Kanzlerin bisher nicht wagen zu sagen: Wir bitten Euch um Verzeihung. Wir bitten Euch um Verzeihung für anderthalb Jahre einer Politik, die Euch zu Opfern gemacht hat.
Zu Opfern von Gewalt, Vernachlässigung, Isolation, seelischer Einsamkeit. Für eine Politik und eine mediale Berichterstattung, die Euch bis heute wie Gift das Gefühl einflößt, Ihr wäret eine tödliche Gefahr für unsere Gesellschaft.
Das seid Ihr nicht, lasst Euch das nicht einreden. Wir haben Euch zu schützen, nicht Ihr uns.
Das beschämt uns als Gesellschaft
Ich möchte es so deutlich wie möglich sagen: Was Euch Kindern angetan wurde von einer Regierung, die wir als Eltern auch und vor allem für Euch gewählt haben, die wir offenbar nicht scharf genug kritisiert haben für geschlossene Schulen und gesperrte Fußballplätze, beschämt uns als Gesellschaft.
Seit Beginn der Pandemie im März 2020 sind in Deutschland zwanzig Menschen unter 20 an oder mit Corona gestorben. Im Jahr 2020 wurden 152 Kinder unter 14 umgebracht, vierzig mehr als im Vergleichszeitraum 2019.
Sie stehen für das, was Kinder bis heute durchmachen in den isolierten und abgeschotteten Räumen des Lockdowns, in kleinen Sozialwohnungen, aber auch in geräumigen Häusern, in denen Enge offenbar Gewalt entfesselt hat, ohne dass die Zufluchts- und Schutzräume geöffnet waren.
Die getöteten Kinder stehen für all die misshandelten Kinder, deren Prellungen und Schürfwunden kein Lehrer, kein Fußballtrainer sehen und melden konnte.
Volle Biergärten, leere Klassenräume
„Die Schulen als letztes schließen und als erstes öffnen“ – dieses Versprechen brechen unsere Regierungen in Berlin und in den Ländern täglich.
Was sie Kindern damit antun, scheint Kanzlerin Angela Merkel und den Ministerpräsidenten den Kraftakt nicht wert zu sein, Lehrerinnen und Lehrer sofort – SOFORT – wieder in die Schulen zu schicken.
Biergärten sind voll, Klassenräume sind leer.
Die Schweden haben ihre Schulen nie geschlossen. Sie sind ihrer Verantwortung den Kindern gegenüber gerecht geworden. Wir nicht. Die Ministerin der Kinder hat sich gerade vorzeitig aus ihrem Amt verabschiedet, um sich von Doktorarbeit-Vorwürfen ungestört auf einen Wahlkampf vorbereiten zu können. Franziska Giffey ging, ohne auch nur einen Post-it zu hinterlassen mit zwei Sätzen, was man für Kinder besser machen könnte. Man kann Gleichgültigkeit gegenüber den Anvertrauten nicht zynischer zum Ausdruck bringen.
Vor allem, was unseren Kindern geschehen ist, haben genug Menschen, hat auch BILD immer gewarnt. Doch nichts geschah. Gab es den Merkel-Gipfel für Kinder? Nein. Stattdessen wurde unseren Kindern eingebläut, sie würden Oma umbringen, wenn sie es wagen würden, Kinder zu sein, ihre Freunde zu treffen. Nichts davon hat je jemand wissenschaftlich belegt. Es war nur bequem, das zu behaupten, weil Kinder sich nicht wehren und nicht wählen.
Propaganda-Parolen gegen Kinder
Meine Frage an unsere Politiker lautet: Wer sagt einem Kind mit blau geschlagenen Beinen ins Gesicht, Unterricht sei halt Sache von Ländern und Kommunen?
Freunde erzählen mir von ihren Teenager-Söhnen, die bis zur Pandemie fünfmal die Woche Sport gemacht haben und jetzt gar nicht mehr. Ihre pubertäre Energie, Wut, Verzweiflung entlädt sich nach innen, statt in einen Ball, in einen Schuss aufs Tor. Wir müssen doch endlich merken, dass wir da seelische Wracks erschaffen.
Wenn der Staat einem Kind seine Rechte nimmt, dann muss er beweisen, dass er dadurch eine unmittelbare, konkrete Gefahr abwehrt. Dieser Beweis ist nie erbracht worden. Ersetzt wurde er durch Propaganda-Parolen vom Kind als Pandemie-Treiber. Wer widersprechen wollte, wurde in die Expertenrunden des Kanzleramts nicht eingeladen.
Was all das konkret angerichtet hat, habe ich persönlich erlebt, als ich vor einigen Wochen die beeindrucken Alltagshelden der „Arche“ in Berlin-Hellersdorf besuchen durfte. Die ärmsten Kinder unseres reichen Landes, die dort sonst täglich Struktur, Zuverlässigkeit, Zuflucht und Essen (!) fanden, dürften während der Pandemie nur noch einmal alle zwei Wochen kommen. Und zwar einfach nur, weil niemand in der Politik sich darum gekümmert hat, wie man es besser machen könnte.
Man muss einmal erlebt haben, wie ein Neunjähriger „Ich liebe Dich, Du bist mein bester Freund“ zu einem sagt, nachdem man einfach nur zwei Stunden UNO mit ihm gespielt hat, um erahnen zu können, wie einsam diese Kinder sind.
Nur noch wenige Wochen ist unsere Bundesregierung im Amt. Ich flehe sie an, die wenige verbleibende Zeit und ihre ganze Kraft endlich, endlich, endlich den Kindern zu widmen und alles dafür zu tun, zu heilen, was sie den Jüngsten und Schwächsten angetan hat. Unsere Politiker sollten lieber Schulen und Turnhallen öffnen, statt Wahlkampfstände. Sie werden sonst vor ihrem Gewissen und in den Geschichtsbüchern ein Trümmerfeld der Kinderseelen hinterlassen.