Das Landgericht Köln hat eine Einstweilige Verfügung gegen YouTube erlassen. Die Plattform soll aufschlüsseln, welche Inhalte des Kanals „Kaiser TV“ von Gunnar Kaiser gegen welche Richtlinien verstoßen. YouTube hatte Kaiser zuvor aus dem Partnerprogramm geworfen – ohne konkrete Gründe zu nennen.
Durch den „Appell für freie Debattenräume“ wurde der Autor und Creator Gunnar Kaiser einem breiten Publikum bekannt. Mittlerweile verdient er einen großen Teil seines Einkommens auf YouTube, wo er den Kanal „Kaiser TV“ betreibt. Bis vor kurzem jedenfalls: Am 10. Juni diesen Jahres hat YouTube Kaiser ohne Vorwarnung oder Abmahnung aus dem YouTube-Partnerprogramm geworfen – und ihm damit über Nacht den Geldhahn zugedreht. Demonetarisierung nennt sich das. Eine entsprechende Nachricht, die MEEDIA vorliegt, erreichte Kaiser kurz nach Mitternacht:
Der Vorgang ist bemerkenswert, allerdings auch nicht ganz neu. Immer wieder werden Nutzer und/oder Creator großer Plattformen gesperrt oder anderweitig abgestraft, weil ihre Inhalte gegen bestimmte Richtlinien verstoßen haben sollen. Dass der konkrete Verstoß meist im Unklaren bleibt, hat System: Wer nicht weiß, wofür er abgestraft wird, der kann sich schwer wehren.
Für Kaiser, der nicht nur das eigene Auskommen verdienen muss, sondern auch Angestellte zu bezahlen hat, ein herber Schlag. „Das ist wie ein fristlose Entlassung, ohne zu wissen, warum jemand entlassen wird“, sagt sein Anwalt Joachim Steinhöfel, der Kaiser in der Sache juristisch vertritt.
Theoretisch hätte sich Kaiser zwar 30 Tage nach der Demonetarisierung erneut für das YouTube-Partnerprogramm bewerben können. Allerdings nur, wenn er bis dahin entsprechende Änderungen am Kanal vornimmt, um den Richtlinien zu entsprechen, gegen die er verstoßen haben soll. Aber wie soll das funktionieren, wenn Kaiser die Verstöße gar nicht kennt? Im Gespräch mit MEEDIA wirft Steinhöfel der Plattform deshalb „Willkür nach Gutsherren-Art“ vor.
Weitreichende Konsequenzen für YouTube
In der Folge hat Steinhöfel am 10. Juli einen Antrag auf einstweilige Verfügung gegen die Google Ireland Limited, das Unternehmen hinter YouTube, gestellt. Die 28. Zivilkammer des Landgerichts Köln hat diese drei Tage später, am 13. Juli, erlassen. „Das ist ein sensationeller Beschluss“, sagt Steinhöfel, und spricht in dem Zusammenhang auch von einem Präzedenzfall.
Für YouTube hat diese Entscheidung weitreichende Konsequenzen: Steinhöfel hat nicht weniger erwirkt, als dass YouTube vermeintliche Verstöße von Kaiser gegen die Richtlinien des YouTube-Partnerprogramms ganz konkret aufschlüsseln muss. Diese Entscheidung könnte auch Einfluss auf weitere Fälle haben, die ähnlich gelagert sind. In seinem Beschluss, der MEEDIA ebenfalls vorliegt, formuliert es das Gericht so:
„Der Antragsgegnerin wird (…) verboten, den von dem Antragsteller auf der von der Antragsgegnerin betriebenen Plattform ,,YouTube” (…) betriebenen Kanal zu demonetarisieren, ohne dem Antragsteller nach entsprechender Aufforderung innerhalb von sieben Tagen mitzuteilen, weiche Videos auf seinem Kanal nach Auffassung der Antragsgegnerin nicht den ,,Richtlinien des YouTube-Partnerprogramms entsprechen” und gegen welche der Richtlinien welches Video verstoßen haben soll.“
„Wenn YouTube hier diskriminiert, verletzt es die Neutralitätspflicht“
Die Entscheidung des Gerichts sei auch eine Entscheidung für die Pressefreiheit, findet Steinhöfel, der regelmäßig Nutzer vertritt, die vorübergehend oder dauerhaft gesperrt oder sonst wie von Plattformen sanktioniert werden. „Auch Journalisten, die nicht für große Medien arbeiten, können sich gegenüber den Plattformen auf die Grundrechte berufen. Wenn YouTube hier diskriminiert, verletzt es die Neutralitätspflicht, der das Unternehmen unterliegt.“
Die Google Irland Limited kann zwar theoretisch noch Widerspruch gegen die Entscheidung des Gerichts einlegen, die Aussicht auf Erfolg sei aber gering, ist sich Steinhöfel sicher. Ohnehin bleibe die gesetzte Frist, die am kommenden Montag endet, erstmal bestehen. Sollte YouTube der Forderung des Gerichts bis dahin nicht nachkommen, kündigt Steinhöfel bereits an, einen Ordnungsmittel-Antrag zu stellen, also eine Art Strafgeld wegen eines Verstoßes gegen den richterlichen Beschluss.
Gültige Wiedergabezeit von mehr als 4.000 Stunden in zwölf Monaten
Über das YouTube-Partnerprogramm können Produzenten oder – wie sie mittlerweile heißen – Creator bereits seit 2007 Geld verdienen. In den vergangenen Jahren hatte YouTube die Voraussetzungen für eine Teilnahme stetig aktualisiert. Mittlerweile lesen sich die Mindestvoraussetzungen so:
Wer dabei sein will, muss sich überdies an die Community-Richtlinien, die Nutzungsbedingungen und die Urheberrechtsrichtlinien von YouTube halten sowie an die Google AdSense-Programmrichtlinien. Diese gelten demnach für alle Creator, die am YouTube-Partnerprogramm teilnehmen oder sich dafür bewerben möchten.
Die Grenze zwischen Journalismus und Aktivismus
YouTube stand aber schon häufiger in der Kritik, trotz Richtlinien nicht ausreichend problematischen Content von der eigenen Plattform zu verbannen. Im Jahr 2019 etwa zeichnete die US-Nachrichtenagentur Bloomberg in einem ausführlichen Report nach, wie YouTube hier in großem Stil versagte (MEEDIA berichtete).
Ob es sich beim Kanal von Gunnar Kaiser um einen handelt, der problematische Inhalte verbreitet, steht auf einem anderen Blatt. Auf „Kaiser TV“ kritisiert Kaiser regelmäßig die Corona-Maßnahmen der Regierung und trifft auch streitbare bis umstrittene Köpfe zum Gespräch, beispielsweise aus der sogenannten „Querdenker“-Szene. Das tun andere Journalisten allerdings auch.
Gunnar Kaiser Zudem trat Kaiser unter anderem bereits als Redner auf einer „Querdenker“-Demonstration in Nürnberg auf – und überschreitet regelmäßig die Grenze vom Chronisten zum Aktivisten. Wie aktivistisch Journalisten sein dürfen, ist nicht von regelmäßig Gegenstand hitziger Debatten. Als der „Stern“ eine ganze Ausgabe mit den Aktivisten von Friday’s for Future produzierte, fragte MEEDIA etwa: Ist die Kooperation mit Klimaaktivisten das Ende des unabhängigen Journalismus?
Kaiser selbst bezeichnet sich als Schriftsteller und Philosoph. Sein Debütroman „Unter der Haut“ erschien 2018, in den Folgejahren Übersetzungen auf Türkisch, Französisch, Italienisch und Griechisch. Er arbeitet seit 2001 auch als freier Journalist im Bereich Literatur, Kultur und Philosophie, publizierte in der „Neuen Zürcher Zeitung“ genauso wie in der „taz“. Seit 2016 betreibt er „KaiserTV“ mit derzeit rund 200.000 Abonnenten.
„Wir können uns zum Sachverhalt nicht äußern“
Inwiefern seine Tätigkeit auf YouTube tatsächlich gegen die Richtlinien der Plattform verstößt – oder sonst wie problematisch ist – dürfte Gegenstand weiterer Debatten sein. Eine YouTube-Sprecherin teilte auf Nachfrage schriftlich mit, dass man sich nicht zum vorliegenden Sachverhalt äußern könne. Fragen, etwa woran YouTube Kaisers Verstöße konkret festmacht oder warum er vorab nicht gewarnt oder abgemahnt wurde, bleiben an dieser Stelle daher unbeantwortet.